miesbach, 18.03.2025
frühlingserwachen. anfang des monats ein kleiner ausflug an den bodensee. 2 tage Konstanz: ähnliche atmosphäre, ähnlicher charme wie Freiburg. das allemannische. der große see im weichen frühlingslicht, die großen berge sehr weiß, an der uferpromande die vielen leute, die sich an der sonne laben.
die insel reichenau: ein einziges gewächshaus, landschaft mit plastik überzogen. ich verstehe nicht ganz, worin der touristische charme dieser insel bestehen soll- außer in dem wunderbaren münster und den anderen kirchen.
minimalismus. ich leiste mir manchmal kleine fluchten in reduzierte regionen. aber eigentlich bin ich nicht für diese sphären gemacht: zu viel barockes in meinem temperament, zu viel lust an vielen farben. um so mehr liebe ich minimalistische arbeiten anderer. und v.a. in der fotografie.
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ganz anders und wahrscheinlich das genaue gegenteil zum minimalismus: Prousts recherche. Sein stil, seine methode: diese unglaubliche genauigkeit in der beschreibung- aber eigentlich ist es gar keine beschreibung: es geht ja nicht um die weißdornhecken am rand von swanns park oder den kirchturm von saint hilaire in combray, deren beschreibung er ganze seiten widmet. der eigentliche sinn dieser fast manischen genauigkeit liegt ja darin, dass er vesucht, dadurch zu den dingen: gerüchen, landschaften, menschen, möbeln, meinungen ... vorzudringen und sie so zu "reanimieren", sie so aus dem dunkel der zeit und der erinnerung heraus zu reißen.
welch ungeheures unternehmen die ganze recherche, diese gigantische, heroische erinnerungsarbeit, imagination, fantasie, schreibarbeit. man kann sich das als normaler mensch, auch als weitgehend normaler künstler kaum vorstellen. wahrscheinlich konnnte Proust selbst es sich auch nicht vorstellen, obwohl er ja das ende, die letzte seite der recherche schon gleich am anfang geschrieben haben soll.
lektüre-erfahrung: manchmal langeweile, ennui, oft dagegen begeisterung und bewunderung. das gefühl, in und mit der lektüre bereichert zu werden, eine andere wirklichkeit zu erfahren, anders nicht, weil sie fiktiv ist, sondern anders, weil die dinge plötzlich so viel vielschichtiger, reichhaltiger erscheinen. das staunen, wie großartig die welt, bzw. unsere wahrnehmung der welt sein kann.
miesbach, 24.02.2025
der tag danach. nach der bundestagswahl. erschrecke immer wieder, wie viel politische macht die nazi-köpfe sich bereits erschlichen haben. im nächsten gedanken aber noch viel mehr, dass es so viele leute, so viele liebe mit-bürger gibt, die ihre stimme solchen hasardeuren, revenants und ganoven anvertrauen.
tag danach aber auch in ein einem anderen sinn. eine erfahrung, die mir fast schon verloren schien. auf dem rückweg vom wahllokal vorbei an der baustelle am warmbad. eine bereits mit schaumplatten gedämmte betonwand, darüber im parrterre dunkelbraune schaltafeln, vor denen noch etwa 30 cm hoch armiereisen aus der betonwand standen. ein blickfang: die rostigen eisengitter vor den schaltafeln, auf denen bei längerem hinsehen linien, zeichen, micro-malereien wahrscheinlich von kleberesten erschienen. schön. ich blieb lange stehen, suchte nach weiteren ausschnitten, entdeckte andere formationen. objets trouvés im vorbeigehen, ein glücklicher augenblick an einem tristen, wolkenverhangenen tag.
ich halte diesen augenblick, diese fast schon verloren geglaubte erfahrung- weil ich inzwischen meist mit einem bestimmten ziel, einer klaren absicht oder dem projekt einer neuen serie mit der kamera unterwegs bin- erst jetzt fest, nachdem ich bei der lektüre auf folgende stelle stoße.
Alors, bien en dehors de toutes ces occupations littéraires et ne s´y rattachant en rien, tout d´un coup un toit, un reflet de soleil sur une pierre, l´odeur d´un chemin me faisaient arreter par un plaisir particulier qu´ils me donnaient, et aussi parce qu´ils avaient l´air de cacher, au-delà de ce que je voyais, quelque chose qu´ils invitaient à venir prendre et que malgré mes efforts je n´arrivais pas à découvrir.
sind es nicht diese entdeckungen, der plötzliche ruf der dinge, bestimmter bilder am wegrand oder genau dort, wo man sie nicht erwartet hätte- die mich von anfang an an der fotografie fasziniert haben? dinge, die man sonst nicht sieht, übersieht, oder die man erst durch die genaue betrachtung, mit und durch die kamera sehen kann.
weiter bei Proust:
Certes ce n´étaient pas des impressions de ce genre qui pouvaient me rendre l´espérance que j´avais perdue de pouvoir etre un jour écrivain ou poète, car elles étaient toujours liées à un objet particulier dépourvu de valeur intellectuelle et ne se rapportant à aucune vérité abstraite. Mais du moins elles me donnaient un plaisir irraisonné, l´illusion d´une sort de fécondité et par là me distrayaient de l´ ennui, du sentiment de mon impuissance que j´avais éprouvés chaque fois que j´avais cherché un sujet philosophique pour une grande oeuvre littéraire. (Du coté de chez Swann, 178f)
die überraschende analogie zu meinem fund an dem trüben nachwahltag: dass diese großartige beschreibung des poetischen motors, der künstlerischen ent-deckung an einer stelle auftaucht, wo man das buch nach einer typisch proustschen endlos erscheinenden beschreibung oder reflexion am liebsten weglegen möchte!
miesbach, 16.februar 2025
wieder einmal in schlaflosen nacht-pausen die frage, ob und zu welchem zweck man noch fotos machen soll in diesen zeiten. fragen mit sehr stark negativem drall.
wenn überhaupt noch, so flüstert es in der nacht, dann
-außergewöhnliche bilder
-kämpferische bilder
-verrückte bilder
-bilder gegen die un- und übermenschen, drecksäcke der macht
-...
nun mache ich zur zeit ohnehin keine bilder, vielleicht vergeht mir vor diesem hintergrund auch immer mehr die lust.
obwohl das nun auch keine haltbare lösung wäre: was sind das für zeiten, wo ein harmloses bild in schönen farben eine lüge ist? ...
miesbach, 30.jan.2025
jahresbeginn fotomäßig verhalten. zumindest was neue bilder betrifft.
aber immerhin: die galerie freitag geht, nach längeren geburtswehen, weiter. eigentlich sollte mein engel der geschichte mit plenis illusions-engel erscheinen- aber dessen botschaft blieb bis kurz vor redaktionsschluss aus. zum glück flog mir ein anderer engel zu.
jetzt im ferbruar also tierglück mit helmas glücklicher katze und nomans menschlichem hund.
immerhin auch: ein weiteres kapitel für die mensch serie, für die ich die fotostrecke an der miesbacher eissporthalle verwenden konnte. glückliche trouvaille: authentischer als bei diesen fröhlichen botschaftern des miesbacher lebens und ihrer hoffnungsfrohen message: "mirhelfnzam" geht es wohl kaum.
die kritik hält sich vornehm zurück, das echo auch von befreundeten bildermachern gleich null. aber es ist auch nicht verwunderlich. man müsste ja mehrere bilder ansehen, siemit dem konzept ansehen und sich dann einen augenblick damit auseinandersetzen, ob das bild hält, was das konzept verspricht etc. das ist natürlich für die click und like bilderfreunde zuviel verlagt.
also nicht verzagen und eigentlich weiß ich es ja schon seit langem, wie die maschine der "sozialen" medien funktioniert.
tröstende worte dazu auch heute zufällig bei der guten natalia ginzburg:
wenn man dem weiteren schicksal unseres werks eine übergroße und essentielle bedutung beimisst, dann zeigt das, dass es uns an der wahren liebe zu unserem werk mangelt. wenn wir es wirklich geliebt haben und es lieben, dann wissen wir, dass das, was ihm widerfährt, sein weiterer verlauf und sein schicksal, sei es unverständnis oder gunst, nur eine nebensächliche bedeutung haben, wie es für einen fluss oder eine wolke völlig gleichgültig ist, welche landschaften oder bäume ihnen auf ihrem weg begegnen.
bologna, pinacoteca nazionale. meisterwerke des 15. jahrhunderts. ich staune pflichtschuldig über die meisterschaft dieser "frühen" malerei. das bild der maria: die mädchengesichter mit der bleichen haut, der blick meist leer oder nach innen gewandt. einige meister treiben die unschuld der jungfrau auf die spitze und verleihen ihr die züges eines kindes. aber dann ein bild, das ganz aus der reihe fällt. eine maria, die plötzlich so fraulich, sinnlich, fast leidenschaftlich erscheint. auch die farben sind ganz anders: leuchtend das rot ihrer lippen und das lila kleid. ich frage mich, woher der maestro della pala dei muratori die inspiration und den mut für diese ganz andereund völlig aus der zeit fallende darstellung der maria hernahm?