olaf ottl, laboratorium (2020)


oft ist es ziemlich einfach zu sagen, ob einem ein bild gefällt oder nicht. zumindest für den alltäglichen gebrauch. und mit etwas geschick wird man seine haltung auch begründen können: komposition, formensprache, farben usw.

 

 manchmal aber, vor allem wenn man den dingen wirklich auf den grund gehen will, wird es schon schwieriger.

 

noch schwieriger wird es, wenn die sache nicht so einfach ist, wenn das bild, das mich in seinen bann zieht, weder pure begeisterung, noch eindeutige ablehnung auslöst.

 

so geht es mir mit dem foto von olaf ottl. es gefällt mir, obwohl es mir in vielerlei hinsicht nicht gefällt. es packt mich, aber nicht auf die charmante art. fast gegen meinen willen, der eigentlich vergnügt oder begeistert sein will beim betrachten eines kunstwerks.

aber hier sperrt sich zunächst so viel. die farbkomposition, die so dissonant und wenig einladend ist mit diesem metallenen graublau, das über dem himmel genauso wie über dem gebäude liegt. und der kontrast zu dem braunen trapez im vordergrund macht es auch nicht besser. dann noch die roten begrenzungsbleche- sie scheinen das triste blau geradezu zu verhöhnen.

wenig einladend ist auch die wellblecharchitektur, sind die in dieser perspektive bedrohlichen formen des gebäudes. es sieht aus wie ein moloch, der sich auf den betrachter zuwälzt, wie ein geisterschiff.

 

das alles ist auf den ersten blick wenig einnehmend.
aber es passiert etwas anderes. das bild brennt sich- gerade in seiner spezifischen und so uncharmanten form- ein, es beginnt zu wirken. eine verwandlung setzt ein: aus dem reinen kunstgenuss, dem flanieren zwischen bildern, aus der kontemplation wird, weil mich das kunstwerk packt, eine erfahrung. ich befinde mich plötzlich und fast schockartig inmitten eines prozesses, der mich aus der zuvor so sicheren position des betrachters in eine bedrohliche situation versetzt. ich bleibe allein mit dieser bedrohung, so lange ich das bild vor augen habe. und ich sehe nicht mehr kraftwerk, wellblecharchitektur, farbentod… sondern ich sehe mich einem gewaltigen ungestüm gegenüber, ich sehe ein technoides monster auf mich zukommen.

 

die analogie zwischen dieser verwandlung und franz kafkas gleichnamiger erzählung ist dabei nicht zufällig. gregor samsa hat sich über nacht in ein ungeziefer verwandelt. bis dahin war er jemand; mit einem mal ist er nichts mehr, nicht einmal mehr ein zwerg. hilflos muss er jeden weiteren tag erleben, wie seine vertraute umwelt: familie, wohnung, beruf immer größer und feindlicher und am ende tödlich für ihn werden.

 ist es ein vergnügen, „die verwandlung“ zu lesen? kaum. aber sie vermittelt uns eine wichtige erfahrung, vielleicht sogar eine wichtige erfahrung fürs leben.

 

zu dieser misteriösen verwandlung trägt auch der titel bei. ein überraschender und guter titel, wie ich finde. er hat meine sichtweise des bildes entscheidend gelenkt. ich habe mich gefragt: woran wird hier laboriert hinter diesen fensterlosen wänden? an biologischen/chemischen kampfstoffen? an tierversuchen? an der zukunft? … so durchweg positiv und human werden diese experimente wohl nicht sein, denke ich, sonst hätte man dem ganzen eine andere architektur verpasst.

 

so geht es mir also mit dem bild von olaf ottl. es vermittelt mir die erfahrung einer beängstigenden und bedrohlichen verwandlung. eine momentane katastrophenstimmung, ein alptraum.
im unterschied aber zu realen katastrophen sind solche ästhetischen erfahrungen "simulationsräume mit herabgesetztem risiko" (dieter wellershoff). ich setze mich aus, das bild verschafft mir eine gänsehaut. aber nur versuchsweise. so lange ich das bild vor augen habe. aber weil mich das bild reizt, weil es mich so anzieht, sehe ich es mir länger an und immer wieder. und dann ziehe ich mich wieder in die realität zurück, froh, dem unglück entkommen zu sein, froh, dass so etwas möglich, aber noch nicht wirklich  ist, zumindest nicht vor meinen augen, zumindest nicht hier in diesen breiten, zumindest noch nicht in nächster zeit...

 

 und ich bin dem bild und olaf ottl dankbar für diese ästhetische schockerfahrung.

 

w.marin