mariam hauser, die blaue himmelsleiter (2022)
jürgen gundolf, ruhe / raum (2020)
Das einfache, das schwer zu machen ist.
Brecht hatte damit den kommunismus gemeint. Das gleiche kann man aber auch vom minimalismus sagen, vom minimalismus jeglicher art: im leben, in der kunst, in der fotografie.
Die reduktion auf das wesentliche. weg mit dem schnörkel, weg mit allem dekorativen. Damit das eigentliche, wichtige, der kern der dinge, das schöne, das, worauf es ankommt, richtig zur geltung und zur anschauung kommen.
Ein großartiger ansatz! Er könnte die lösung fast all unserer probleme sein: konsum, fettleibigkeit, die ausbeutung der 3. welt… Und in der fotografie: das ende der bilderflut, der sinnlosen knipserei, das ende der täglichen bewusstlosen bilderfresserei in den sozialen medien, all dieser sinnlosen clicks und likes und blöden kommentare.
Zum glück gibt es eine ganze reihe beherzter künstler und fotografen, die sich diesem ansatz verschrieben haben. Ein eiland im großen bildermeer.
Dort habe ich auch die beiden hier gezeigten bilder gefunden.
Man kann in ihnen sehr schön die funktion und die vorteile minimalistischer fotografie sehen.
Schon beim ersten flüchtigen blick auf „die blaue himmelsleiter“ von mariam hauser habe ich eine große freiheit gespürt. Freiheit nicht nur wegen der reduktion der farbe und formen. Das, was einen unmittelbar anspringt an diesem bild (und ähnlichen bildern), ist der große raum. Dieser unheimlich große und leere raum, den wir sonst nirgends und wirklich nirgendwo sehen- außer wenn wir die augen schließen, aber dann ist es kein sehen. Dazu brauchen wir die kunst. Minimalistische bilder wie die himmelsleiter. Je länger man hinsieht, desto stärker entfaltet sich die reinigende wirkung des bildes. Das konzept des negativen raums: den dingen, auf die es ankommt, viel, unendlich viel raum zu geben. Und damit sehen wir nicht nur das motiv anders, erleben es vielleicht in seiner eigentlichkeit. Das bild entfaltet auch eine therapeutische wirkung: entspannung für unsere augen, der freie atem, wir fühlen uns wie levitiert.
ruhe/raum von jürgen gundolf ist etwas anders. ihm fehlt der große freie raum. aber es arbeitet mit einem anderen element, das genauso wichtig für minimalistische kunst ist: der reduktion auf wenige und elementare elemente und ihre wiederholung. Die magie der serie. phil glass` einstein on the beach und laurie andersons große stimme in endlosschleife: one two three four ... oder john cages ORGAN²/ASLSP in Halberstadt.
Hier in gundolfs bild ist es die wiederholung der elementarformen: dreieck, rechteck, trapez.
Alle formelemente sind fassadenstücken in grauem verputz entnommen und werden in verschiedenen grau-nuancen wiederholt. Einige scheinen "realistisch" zu sein mit materialspuren, andere "künstlich" mit harten, klaren linien. Nur der schwarze pfeil in der bildmitte bricht die serie der dreiecks- und rechtecksformen. Der schmale balken am rechten rand wiederholt zwar die trapezformen, sie sind aber völlig glatt und ohne struktur und bilden in ihrer "nicht-materialität" einen wirkungsvollen kontrast zu den fassadenelementen.
Ich bin nicht sicher, ob ruhe/raum so ganz ein minimalistisches bild ist. Auf jeden fall ist es ein tolles bild, das mit wenigen einfachen mitteln arbeitet. Besonders gefällt mir an ihm auch der schmale "künstliche" balken rechts, der als kontrapunkt fungiert. Gundolf hat ihn, wie auch das dunkelgraue trapez, in das bild montiert. Wahrscheinlich würde die komposition ohne ihn nicht, oder nicht so gut funktionieren. Und er sorgt auch dafür, dass dieser so ruhige raum nicht allzu ruhig wird.
Das einfache und das schwere. Die erfahrung, die mir minimalistische bilder vermitteln, ist leichtigkeit. Die verwandlung des schweren in das leichte. eine andere wahrnehmung der wirklichkeit: das, was herauskommt, wenn man durch das schwere, die undurchdringlichkeit, den ballast hindurchgegangen ist und bei dem so einfachen ankommt. Bei der großen und schönen leichtigkeit des einfachen.
w.marin